In den Wochen vor Weihnachten, in der dunkelsten, aber auch der stillsten Zeit des Jahres, halte ich mich am liebsten an der Nordseeküste auf. Die Sommergäste sind längst schon fort; der Weihnachtstourismus hat noch nicht eingesetzt.

Dann ist die Zeit der langen, einsamen Spaziergänge auf dem Deich von Westerhever, von Husum oder von Dagebüll, die Zeit der Wanderungen entlang des endlosen Strandes von Amrum. In den Ohren das Donnern des Windes und das Toben des Meeres, in den Lungen die unbeschreiblich frische, unverbrauchte Nordseeluft, der Körper ermattet vom Kampf gegen den ewigen Nordwest, der Geist hellwach, freigeblasen von allem Ballast...

Und in der Unrast der Witterung, im Rauschen der Brandung, klingen dann alte Lieder auf, die man vor sich hinsummt, Verse, die nicht aus dem Kopf weichen wollen, Gedichte von Theodor Storm, von Klaus Groth oder vom unvergessenen Hans Leip. Um diese Gedankensplitter herum kristallisieren sich Fantasiegebilde, Erscheinungen und Erlebniswelten vergangener Tage, und es entstehen neue Bilder, hervorgerufen durch die Erinnerung an Menschen, die einst ein Stück Weges mit mir gegangen sind, an Ereignisse, die mein Leben prägen halfen und an die wunderbaren Natur- und Landschaftseindrücke von der Wasserkante.

Ein roter Faden zieht sich durch alle diese Dichtungen: Die Erinnerung an das erfüllte Leben und an den frühen Tod von Uwe Paysen, der sein Nordfriesland so innig geliebt hat. Dem Andenken dieses unsteten Seefahrers, Wattführers, Jägers, Bienenzüchters und begnadeten Erzählers sollen meine Verse gewidmet sein.

Wir wollten zusammen ein dickes Buch schreiben, prall voll mit Geschichten von der Küste Nordfrieslands, von den Inseln und dem Meer...

Nun ist es nur ein schmaler Gedichtband geworden, nur eine Andeutung dessen, was hätte sein können:

Und das schwarze Grab wird doch seine Seele nicht fassen, denn die ist schon längst unterwegs, irgendwo zwischen Dagebüll-Mole und Oland, in den glitzernden Watten, im salzigen Wind!

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