|
|
|
|
|
Thorben sah in den Spiegel. Miriam saß in Gedanken versunken dort hinten auf dem Rücksitz, die Adlerfeder in der Hand. Sie wirkte so verloren und zerbrechlich mit ihren zarten Schultern unter der hellblauen Bluse. Thorben schluckte und sah dann wieder geradeaus, konzentrierte sich ganz aufs Fahren, denn nun begann die endlose Serpentinenstrecke hinunter zur Küstenebene.Die Münchnerin redete ohne Unterbrechung; im Wagen herrschte trotz der geöffneten Seitenfenster eine Hitze wie vor einem Hochofen, und der Fischgestank war fast unerträglich geworden. Dazu knallten hinter ihnen die Fehlzündungen des alten VW-Motors, der das lange Berg-abfahren im zweiten Gang überhaupt nicht schätzte. Es klang, als wolle es den Auspuff zerreißen.Und die Münchnerin schwätzte noch immer. Ihr Gesicht war jetzt tomatenrot. Sie sah aus, als könne sie jeden Moment vom Schlag getroffen werden.Schweißüberströmt brachte Thorben schließlich den Wagen im Schatten eines dicht belaubten Baumes zum Stehen. „Laß toben die Heiden, denn sie haben keinen Gott“, dachte er, und laut rief er: „Schön ist die Welt! Schön ist sie in den sonnigen Ländern! Hier gibt es blauen Himmel und Adler und Weintrauben. Und über uns einen Lorbeerbaum!“Weit riß er die Fahrertür auf, stieg aus der stickigen, stinkenden Blechbüchse hinaus, klappte seinen Sitz nach vorn, um Miriam das Aussteigen zu ermöglichen. Sie zwängte sich sogleich heraus und stand erhitzt und atmend neben ihm. Der Wind wehte in ihren Haaren. Sie hielt noch immer die Adlerfeder in der Hand. Lächelnd sagte sie: „Gut, daß du hier angehalten hast! Ich habe gerade gedacht, wie schade es doch ist, daß wir so schnell durch diese herrliche Landschaft fahren!“„Ja“, sagte Thorben und schaute hinüber zu einem Feld, das ganz aus Klatschmohn war, der in der Sonne glühte. Mächtige, knorrige Olivenbäume reckten ihre Äste, im Wind zeigten sie die silberne Unterseite ihrer Blätter. Im Schatten blühte gelber Klee, und der Wind ließ die Blütenkerzen der Asphodelen schwanken. Ein Eselchen stand mitten im leuchtenden Rot des Klatschmohnfeldes, zwei weiße Ziegen waren am Straßenrand angepflockt und reckten sich nach den Zweigen eines Johannisbrotbaumes.„Ja“, sagte Thorben. „Meine Seele ist langsamer als alle diese Bilder. Darum muß ich manchmal anhalten. Am besten ist wirklich, man geht zu Fuß! Ich habe es immer wieder erlebt, daß man eine Landschaft wie diese hier gar nicht anders aufnehmen kann! Wie sehr doch so eine Windschutzscheibe einen von der Schönheit dieser Landschaft zu trennen vermag! Ja... Impressionen kann man vielleicht vom Auto aus haben; aber was sind Impressionen? Das Nichts sind sie, des Teufels Kulissen...“Das fand auch die Münchnerin, die mittlerweile ebenfalls ausgestiegen war und sich genießerisch im frischen Luftzug reckte. Und, Gott sei Dank, hielt sie jetzt endlich ihre Klappe.Der Wind wehte und nahm alles mit sich: Fischgestank, Hitze, Lärm und Geschwätz. Es gab nur noch den grenzenlosen, hellen Himmel, die Berge, die zur Rechten grauweiß sich emportürmten, die Bäume unter dem Wind und in der Ferne, im Osten, das Blau des Golfs von Mirabello. Die Zikaden schmetterten ihr nachmittägliches Konzert, die Blätter rauschten, eine Ziege meckerte. Sie waren auf Kreta, und auch die Seele der Münchnerin war jetzt endlich auf der Insel angekommen. „Wie schön!“, sagte die Frau, „wie wunderschön!“ Und sie sah gar nicht mehr wie eine Schwiegermutter aus.Ein blaues Dreirad knatterte vorbei; der schnauzbärtige Fahrer hob grüßend die Hand. Auf der Ladefläche lagen Berge von Olivenzweigen. Der Wind verwehte das Geknatter des Fahrzeugs zugleich mit seiner blauen Abgasfahne. Die Zikaden nahmen ihr Lied wieder auf; der Esel reckte den Kopf in die Höhe, riß das Maul auf und brüllte markerschütternd, brüllte, pumpte förmlich die Luft aus sich heraus, schien zu hyperventilieren und endete in einem letzten, fast unhörbaren Röcheln. „Ach, ist das schön!“, sagte die Dame aus München. |
|
|
|